Kurzgeschichten

Alfons’ Frau öffnete mit einem Korb voll Brennholz unter dem Arm die Küchentür. Die Klinke löste sich aus der Verankerung, sie verlor kurz das Gleichgewicht und schob gerade noch rechtzeitig ihr Bein zwischen zufallende Tür und Rahmen, um diese mit dem Fuss ganz aufzuziehen.

 

Sie stellte den Korb auf den Herd. Dann stiess sie den Dorn der Klinke routiniert zurück in das Loch über dem Schloss, schlug zwei mal heftig von aussen und von innen gegen die beiden Türfallen und die Teile schoben sich provisorisch wieder ineinander.

 

Es schneite seit Stunden. Der Himmel hing bis auf die Baumwipfel hinunter. Die Obstbäume vermochten die immer schwerer werdende Last nicht mehr mit Würde tragen, die Tannen liessen ihre Arme müde herunterhängen. Die Landschaft verblich in ihre winterlichen Grautöne. Vom Weg, der sich von der asphaltierten Strasse über das Feld zum Haus erstreckte, war nichts mehr zu sehen.

 

Sie stand mit verschränkten Armen am Küchenfenster. Der Wind blies dicke Flocken von der anderen Talseite gegen das Haus hinauf. Wenn sie den Blick geradeaus richtete glaubte sie,  mitsamt dem Gebäude in den Himmel hinauszufahren.

 

Im Ofen brannte das Feuer. Es knackte und ächzte, das Holz war zu frisch. Die Katzen sassen in der Stube auf dem Kachelofen und putzten sich zufrieden die Bäuche. Die Luft begann sich aufzuwärmen. Durch eine Klappe in der Decke neben dem Ofen stieg die Hitze ins Obergeschoss.

 

Nur zwei Dinge konnten Alfons erschrecken; herumflatternde Vögel und das weiblich Irrationale.

 

Alfons verbrachte die meiste Zeit im Schneidersitz oder auf dem Rücken liegend vor dem Fernseher. Er brauchte nicht zu arbeiten. Er hatte genug Geld und lebte bescheiden. Über die Jahre hatte er das Schlafzimmer in eine Art Base Station umfunktioniert. Rechts neben dem Fussende des Bettes hing das Telefon an der Wand. Vorne, in idealem Abstand, befanden sich auf einem aus den Fugen geratenen Beistelltisch der Fernseher, ein DVD Player und eine Play Station. Auf der linken Seite neben dem Nachttisch stand immer eine Flasche Cola, der Papierkorb, eine Rolle Toilettenpapier, ein grosses Meyers Lexikon, Atlas, Bleistift und Radiergummi sowie ein Stapel Zeitschriften, welche er wegen der Kreuzworträtsel abonniert hatte. Eine Armlänge entfernt wartete ein elektrischer Heizkörper auf die wenigen, bitterkalten Winternächte, während derer der Holzofen alleine nicht mehr für eine gemütliche Atmosphäre zu sorgen vermochte.

 

Seine Frau brachte ihm die Mahlzeiten. Sie assen zusammen auf dem Bett. Anschliessend brachte sie die Überreste und das schmutzige Geschirr in die Küche zurück um den Abwasch zu erledigen und Kaffee aufzusetzen. Regelmässig nach ein oder zwei Stunden tauschte sie die warm gewordene Colaflasche durch eine gekühlte aus und servierte Alfons kleine Zwischenmahlzeiten, um seinen Blutzuckerspiegel im Bereich der guten Laune zu halten.

 

Alfons war, wenn es um’s Fernsehen ging, nicht besonders wählerisch. Er konsumierte die ganze Bandbreite von Nonsense, Facts und Fiction und merkte sich jede Einzelheit mit erstaunlicher Präzision. Er schlief abends mit einem Krimi oder einem Thriller ein, die Stimmen und die Gestalten woben sich in seine Träume. Er stand mitten in der Nacht während eines Softpornostreifens aus den Siebzigerjahren auf, um zu pinkeln und wurde spät morgens von den angeregten Diskussionen der Wiederholung einer Talkshow vom Vortag geweckt.

 

Gegen Mittag fuhr er normalerweise in die Dorfkneipe, um seine Freunde zu treffen. Es gab noch einen dritten Eckpunkt in Alfons’ Leben. Die Toilette, wo er Kreuzworträtsel zu lösen pflegte, aber davon später.

 

Am Stammtisch erzählte er mit einem Stimmvolumen, welches lediglich vom Mangel an Denkpausen übertroffen wurde, von den neusten Erkenntnissen, die er über die Satellitenschüssel empfangen hatte. Er sprach über Angela Merkel, die Schweizer Musikszene, philosophierte über Lebenshaltungen und Weltanschauungen, Kochrezepte und Schönheitsoperationen, er hatte viel zu berichten. Den einen Stammgästen kamen Alfons Monologe ganz gelegen. Sie genossen die Unterhaltung, ohne dass sie sich ins Gespräch einbringen mussten. Andere gaben nach einigen vergeblichen Versuchen, ihrer Meinung Gehöhr zu verschaffen, resigniert auf. Für Alfons bedeuteten die Ansichten seiner Tischgenossen nie eine Neuigkeit, er hatte diese immer schon längst selbst in Erwägung gezogen, tat dies auch sofort Kund und glaubte sich somit, obwohl ihm keiner wirklich folgte, sich auf seinem Holzweg eines Bildungsvorsprungs sicher.

 

Wenn ihn die Atemnot zwang den Redefluss zu unterbrechen, schob er geschwind ein, „oder?“ ein, zwang die Runde damit, kurz über seine Worte nachzudenken und stellte gleichzeitig sicher, dass niemand auf die Idee kam, den Faden für ihn weiterzuspinnen.

 

Auch wenn die meisten ihn für einen faulen Wichtsack hielten hatte er doch einige treue Bewunderer, die ihn gelegentlich auf seiner Base Station besuchten. Erwähnte setzten sich auf den alten Ledersessel neben dem Extraheizkörper, die Vorhänge wurden zugezogen, damit sich die Aussenwelt nicht auf dem Bildschirm spiegelte und man schob ein Game in den Schlitz der Spielkonsole oder schaute Fern. Alfons’ Frau tauchte mit Kaffee und Kuchen auf, es wurde gelacht und geflucht. Sie zog allerdings das Alleine sein in der Küche der Demütigung, weniger Aufmerksamkeit zu verdienen, als eine zum hundertundeinundzwanzigsten Mal ausgestrahlten Werbung von Fleckenmittel, vor und verschwand.

 

Um halb zwölf schneite es immer noch. Alfons’ Frau freute sich und Alfons selbst war von einer Dokumentation über Giftschlangen im Amazonas in den Bann gezogen, als mit einem lauten Knacken der Strom ausfiel. Der Philips präsentierte sich dunkel wie schon lange nicht mehr. Die Katzen sprangen erschrocken auf und Alfons glotzte ein paar weitere Sekunden perplex auf den schwarzen Bildschirm.

 

Er löste seine Beine aus dem Schneidersitz, stand auf um den Vorhang zurückzuziehen und staunte nicht schlecht, als er die weissen Massen sah, die der Himmel seit dem Vorabend heruntergeworfen hatte. Gleichzeitig wunderte er sich, dass seine Frau nicht schon längst hier oben aufgetaucht war. Er rief ungeduldig nach ihr um sie anzuweisen, die Sicherungen zu kontrollieren. In der Zwischenzeit griff er zum Telefonhörer, doch der Summton blieb aus. Dies gab ihm Grund, die modernen, am Strom hängenden Apparate zu verfluchen und sich so für’s erste Luft zu verschaffen. Seine Frau erschien mit beschwichtigender Miene in der Tür um die Nachricht zu überbringen, dass die Sicherungen in Ordnung seien und dass die Stromzufuhr wohl ausserhalb des Hauses unterbrochen sei.

 

Alfons zog sich schnaubend den Mantel an und stieg in seine Gummistiefel. Seine Frau hatte bereits Schneeschaufel und Besen aus der Scheune geholt. Zu diesem Zeitpunkt war ihr nicht ganz klar, wieso sie unbedingt das Haus verlassen mussten.

 

Es war genug zu essen für mindestens zwei Tage da und Brennholz für zwei weitere Winter. Wieso also die Aufregung?

 

Das Elektrizitätswerk würde den Vorfall schon bemerken und das Problem beheben, ausserdem war für die kommenden Tage bereits wieder wärmeres Wetter angesagt. Aber sie wollte Alfons nicht noch mehr reizen, hielt den Mund und machte sich fleissig ans Schneeschaufeln. Alfons schaute eine Weile mit hochgezogenen Schultern und herunterhängender Unterlippe zu. Das Ganze ging ihm nicht schnell genug, er entriss ihr wetternd die Schaufel und rutschte mit seinen profillosen Gummistiefeln hilflos mit der freien Hand fuchtelnd aus. In Rage und wie ein Hippopotamus auf Schlittschuhen pflügte er tatsächlich geschwind aber ebenso ungelenk eine Spur bis zu seinem Rettung versprechenden BMW, wo seine Frau mit dem Besen bereits die Fenster sowie Front- und Rücklichter vom Schnee befreit hatte. Auch hinter dem Auto wurde Schnee umgeschichtet.

 

Alfons setzte sich ans Steuer. Der Motor sprang an, er liess den Wagen langsam rückwärts die Ausfahrt hinunter rollen, lenkte da, wo man ungefähr den Weg vermuten konnte links ein, doch das schwere alte Fahrzeug rutschte behäbig schräg seitwärts mit durchdrehenden Rädern in den jungfräulichen Tiefschnee hinein. Sein Hinterteil versank bis über das Nummernschild. Alfons schlug mit den Fäusten auf’s Steuerrad und schrie. Er kickte mit dem Stiefel die Tür auf, hievte sich aus dem Sitz und baute sich über seine volle Grösse hinaus auf, um in den Sturm hinaus zu brüllen. Sie, und damit meinte er seine Frau, hätte das Scheisswetter vor Stunden ernst nehmen und seit dem frühen Morgen dafür sorgen sollen, dass die Ausfahrt geräumt sei. Sie hätte den verkümmerten Verstand ihrer senilen Grossmutter und den abgestorbenen Instinkt der Mutter und er frage sich seit Jahren, wieso er immer auf die gleichen, hilflosen Frauen hereinfalle. Welche es nur darauf abgesehen hätten, von seinem Statusquo zu profitieren und jegliche Eigeninitiative an den Nagel hängten sobald die sich einmal in dem von ihm eigens aufgebauten Reich eingenistet hätten. Woran man sehe, was für erbärmliche, durchtriebene und hinterfotzige Kreaturen die Weiber seien, eine Enttäuschung auf Raten und sie solle jetzt sofort zwei Türvorleger holen und vor die Hinterräder legen. Falls das ihr erbsengrosses Hirn oder das was davon noch übrig sei nicht überfordere. Er war den Tränen nahe und schnaufte schwer. Alfons Frau tat wie geheissen doch weder Türvorleger, anfahren im zweiten Gang noch schieben und fluchen konnten das Auto in Bewegung setzten.

 

Alfons stieg abermals aus. Ohne den Motor abzuschalten oder die Wagentür zu schliessen, stampfte er unheimlich zielstrebig in wortloser Ohnmacht zum Haus zurück. Er schlug die Tür mit einer Wucht, die das ganze Haus erzittern liess, hinter sich zu. Eine Lawine löste sich vom Dach und donnerte auf den Vorplatz. Seine Frau hörte die Schritte auf der Holztreppe, die ins Obergeschoss führte und das Krachen der zuschlagenden Schlafzimmertür. Der zweite Teil der Lawine fuhr mit Getöse herunter.

 

Vor dem Eingang türmte sich ein eineinhalb Meter hoher Schneeberg. Alfons’ Frau wischte sich mit dem Handrücken einen Tropfen von der Nasenspitze und begann zu schaufeln. Sie erinnerte sich an Alfons’ ebensogrosse Tobsucht, die sie letzte Woche durch das Losfahren mit angezogener Handbremse und die Rechtfertigung, das könne ja mal passieren, provoziert hatte. Er nannte sie den Ursprung allen erdenklichen Übels und den Abschaum menschlicher Existenz. Und dass wegen Menschen wie ihr, die nie bereit seien die Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen, überall auf der Welt Krieg herrsche und sie sei nichts als eine bösartige Sadistin, die einzig dafür lebe, sich an seinen Qualen zu laben. Alfons’ Welt ging an jenem Donnerstagnachmittag für ein paar Stunden unter.

 

Mit jeder Schaufel Schnee, die sie abtrug und hinter sich wieder aufhäufte, würgte sie einen weiteren Klumpen der respektlosen Scheisse, die sie in den Jahren bereitwillig gefressen hatte, herauf. Sie schaufelte beharrlich, ihre innersten Kräfte durch die bevor-stehende Tatsache mobilisiert, dass sie Alfons mit der eiskalten Metallschaufel den Schädel spalten würde.

 

Alfons setzte sich auf die Bettkante und vergrub das Gesicht in den Händen. Es war totenstill. Er verharrte minutenlang, bis ihm die unheilschwangere Ruhe die Kopfhaut anzusengen begann. Er griff nach dem obersten Magazin seines Zeitschriftenstapels und begab sich mit Kreuzworträtsel, Bleistift und Gummi auf die Toilette. Er drückte den Lichtschalter aber es blieb dunkel. Er stampfte, doch die Verzweiflung legte plötzlich einen bleichen, zitterigen Schleier über seinen Zorn. Er machte sich mit weichen Knien zurück zur Base Station und setzte sich wieder vor den stummen Philips. Er rief nun in bescheidenerem Tonfall nach seiner Frau. Seine Frau schaufelte. Er begann zu frieren. Die nackte Angst packte ihn im Genick und rüttelte an seinem Gerippe. Er hörte das Blut durch seine Adern rauschen. Ein schauriger Druck auf Kopf und Brust, der sich langsam auf seinen ganzen Rumpf ausbreitete, zwang ihn mit Gewalt in seiner niedergeschmetterten Haltung zu verharren. Rasch stellte er sich selber eine Kreuzworträtselfrage; Präsident der Republik Kongo, und antwortete rasch und richtig mit Sassou-Nguesso, um sich zu vergewissern, dass sein Hirn noch proper arbeitete. Er stellte sich noch eine Frage und beantwortete diese ebenfalls schnell und mit Sicherheit. Dann war wieder Ruhe. Die Grabesstille begann an seinen Hohlräumen zu saugen. In Alfons’ Körper entstand ein Unterdruck, ein Vakuum, das seine Augen in Ihre Höhlen sog und ihm die Zunge in den Rachen zog, dass er daran zu ersticken drohte. Die Agonie trieb ihn an, abermals nach seiner Frau zu schreien, doch seine Befehlsstärke äusserte sich nur als kaum vernehmbares, kehliges Röcheln.

 

Eine Amsel setzte sich auf das Fensterbrett. Sie öffnete den Schnabel, als wolle sie zu einem Lied ansetzen und versetzte Alfons damit seinen letzten, ungeheuren Schrecken. Er kippte zur Seite und blieb reglos mit aufgerissenen Augen liegen.

 

Alfons’ Frau sass neben dem Spitalbett. Die Sonne schien durch die hellblauen Vorhänge. Alfons lag seit zwei Wochen unverändert in seinem Schockzustand. Er musste künstlich ernährt werden. Das Ärzteteam war ratlos, denn die Labors bestätigten normale Blut- und Leberwerte, Herz und Lunge arbeiteten durchschnittlich, wie bei jedem unsportlichen, leicht übergewichtigen Vierzigjährigen.

 

Den Blick starr zur Decke gerichtet war nicht auszumachen ob er sich in einem Schlaf- oder Wachzustand befand. Er war weder ansprechbar noch schloss er nachts die Augen.

 

Die Krankenschwester kam herein und stellte einen Strauss Holländischer Tulpen auf das Tischchen neben dem Fenster. Die beiden Frauen grüssten einander höflich. Die Schwester stellte sich ans Fussende des Bettes und schaute mitfühlend zu Alfons und dann zu seiner Frau. Alfons’ Frau erwiderte den entgegenkommenden Blick, verbarg jedoch ihre Gedanken hinter einem kühlen Gesichtsausdruck. Die Schwester war kaum zwanzig Jahre alt und präsentierte ihre ausgesprochen üppigen Formen mit erstaunlicher, fast königlicher Würde. Ihre Erscheinung verriet trotz Brille und weissem Kittel eine kindliche Neugierde, Frohsinn und die schuldlose Einsatzbereitschaft weiblicher Jugend. Das grüne T-Shirt und der Kittel spannten sich über ihrem Busen, wo sie mit „Janice“ angeschrieben war, wie die Schutzblätter einer fetten Pfingstrosenknospe bevor sie aufplatzt.

 

Sie machte eben Anstalten zu gehen, als sie von den Worten von Alfons’ Frau aufgehalten wurde. „Verlust dessen, was den Menschen von innen aufrichtet.“

 

Die Worte zerschnitten die Luft, als hätte sie Excalibur aus dem Amboss gezogen. Janice fror die Herzensgüte auf ihren rosa Wangen ein. Sie drehte sich vorsichtig um und durchforschte das magere Gesicht mit dem ausgeprägten Kiefer. Sie bewegte sich langsam zum Fussende des Bettes zurück, ohne sie aus den Augen zu lassen. Ein Aufbegehren in der Magengrube zwang Janice, über die Worte nachzudenken.

 

„Liebe?“ fragte sie. „Kalt“. Es vergingen einige  Minuten. Die Sonne schob sich hinter die aufziehenden Regenwolken, es wurde finster im Raum, als hätte jemand den Dimmer zurückgedreht. „Hoffnung?“

 

Alfons’ Frau zuckte mit den Schultern. Sie studierte die Kunst an der gegenüberliegenden Wand, der ein geschmackloser Goldrahmen den Rang streitig machte. Eine Ratte und ein Elefant, beide in derselben Grösse schwungvoll umrissen, stemmen sich Stirn an Stirn gegeneinander und versuchen einander, erfolglos aus dem Bild zu drängen.

 

Die Ratte zur Elefantengrösse aufgeblasen wirkte riesig. Alfons’ Frau gelang die umgekehrte Sichtweise, den Elefanten in Rattengrösse als winzig zu empfinden nicht.

 

„Lebensfreude?“ „Wärmer.“ Janice löste sich aus ihrer Versteinerung, schob sich zum Stuhl auf der andere Seite des Bettes und drehte ihn gekonnt um dessen Achse. Sie setzte sich unter das Tierbild und verschränkte die Arme auf der Rückenlehne.

 

„Den Willen?“ „Wieder kälter.“ Janice vergass wie spät es war. Sie war für den Abenddienst eingeteilt und ihre Schicht hatte eben erst begonnen, doch sie versank ins Ratespiel mit der Fremden. Alfons lag reglos zwischen ihnen.

 

Das Schicksal hatte seiner Frau einen Strich durch die Rechnung gemacht. Jemanden tot zu schlagen, der nicht bei Bewusstsein ist, kann keinen Rachedurst stillen. Er hätte ihr dabei wenigstens in die Augen sehen müssen.

 

„Den Glauben an einen Gott“? Alfons’ Frau zog die Mundwinkel nach unten und schwieg. „ Die Träume?“ Es waren nur noch Umrisse vom Inventar zu erkennen. Das kühle Dämmerlicht reduzierte die drei unbewegten Gestalten auf ihre eigentümlichen Schattenprofile. Mit der sechs Uhr schlagenden Kirchenglocke stand Janice ruckartig auf. „Ich hab’s.“ Alfons’ Frau hob den Kopf und Janice hätte schwören können, ein flüchtiges Schmunzeln auf ihrem Gesicht wahrgenommen zu haben.

 

Alfons’ Frau war müde. Alleine im Spitalzimmer zurückgelassen, griff sie nach der TV-Fernbedienung auf dem schwenkbaren Nachttisch und untersuchte sie eine Weile. Sie bewegte den Unterarm auf und ab, als wollte sie ihr Gewicht schätzen. Dann liess sie den Blick zum Fernseher, und dann zu Alfons hinüberschweifen. Sie hob langsam den Arm und zielte auf seine Stirn. Dann drückte sie die Off-Taste, schwang den Arm, im Stil einer Revolverheldin in die Höhe, führte sich die Infrarotpistole an den Mund und blies den Rauch über der Laufmündung weg.

 

Sie stand auf, knöpfte ihren neuen, roten Mantel zu, schlug den Kragen hoch und verliess das Zimmer.

 

© Ada Ravaioli 2012

Es war einmal und ist immer noch ein altes Haus, so ein schläfriger, verlotterter Schuppen mit ausgefransten Schindeln. Rechts davon steht heute das Gemeindehaus und links davon geht’s ins Parkhaus des brandneuen Einkaufszentrums. Natürlich wohnt da keiner mehr drin, in dem Haus, ist ja nicht gerade die Luxusvilla. Ausserdem erzählen sich die Leute im Dorf so ein Scheiss wie, das Haus hätte die Seelen der Leute, die einst darin wohnten gefressen. Und man sehe nachts, wenn der Mond hineinscheint ihre Schatten an den Fenstern vorübergehen. Ich meine – Letzteres ist schon möglich.

 

Ich bin die Einzige, die weiss, was da wirklich lief, ich war ja schliesslich dabei. Habe dort mit meinem Vater und meiner grossen Schwester, dem Rattengesicht, gewohnt. Wir lebten von der Sozialhilfe. Meine Mutter? Die wurde, als ich ganz klein war, von Wegelagerern entführt. Mein Vater irrte ein paar Jahre lang im Wald herum, auf der Suche nach seiner Braut und kam total mit den Nerven fertig und voll auf dem Depro zurück. So hat er es mir mindestens erzählt.

 

Von da an habe ich sozusagen die Mutter ersetzt. Die ganze Palette. Jeden Tag nach der Schule die gleiche Kacke; kochen, putzen, waschen und so weiter und so fort. Machte mich ganz krank im Kopf. Meine Schwester, die faule Sau, hat nur immer herumgemotzt. Die hatte so was wie einen Freipass, eine Carte Blanche in diesem Haus. Hat mir mal nachts, als ich voll tief schlief, mein Haar ganz kurz abgeschnitten. Die war ja so was von eifersüchtig, weil ich hübscher war als sie. Dem Vater war solcher Kinderkram wurst, der war meistens besoffen. Da kriegt einer ja bekanntlich nichts mit, ist aber stets grosszügig am Austeilen. Und als hätte ich nicht genug davon abgekriegt, musste das Arschgesicht von Schwester auch noch dauernd oben draufhauen. Es war immer so richtig dicke Luft im Haus. Nichts konnte man recht machen.

 

Ich hab jeden Abend Essen gekocht, so mit viel Liebe und so. So was machte ich eigentlich ganz gerne – hab ich im Blut. Deshalb immer das ganze Programm; Suppe, Salat, Hauptgang, Dessert und die Beiden haben dann nur gemeckert. Dem einen war’s zu fad, der anderen zu salzig. Für den einen war nicht genug da, um seine Brotlaube zu füllen, die andere hatte den Anschiss, weil’s Resten vom Vortag gab

 

Einmal am Sonntag gingen die Zwei auf’s Dorffest. Die wollten mich nicht dabei haben. Ich war ja erst vierzehn oder so. Die Schwester, die Arschgeige, war schon voll hinter den Männern her und ich war ihr im Weg. Der Vater hatte vor, mit seinen Saufkollegen abzuhängen, so was ist Verpflichtung. Die liessen mich also zu Hause. Auch nicht schlimm. Ich ging in den Wald. Es war Sommer und das Tal von einer Hitzewelle erfasst. Und jetzt kommt’s – stellt euch mal folgende Szene vor:

 

Dreißig Grad im Schatten. Windstill. Kein Lüftchen regt sich. Alles voll friedlich. Ich bin richtig gut drauf. Da spaziere ich so dahin, bin fast fröhlich für einen Moment und sehe plötzlich eine Blutspur auf dem Waldweg. Ich hab voll den Schock. Logisch. Ich meine, von solchen Sachen liest man ja dauernd in der Zeitung; „Frau ging mit Hund spazieren und fand Leiche.“ Du heilige Scheisse, denke ich. Ich reibe mir die Augen ( hab ich in Büchern gelesen, klärt den Blick). Das Blut ist aber immer noch da. Ich folge der Blutspur, voll mutig, tief in den Wald hinein. Da liegt plötzlich ein Rehbock vor mir. An der Schulter eine riesen Wunde. Bin froh, ist es keine Leiche. Zieh mein Taschentuch aus dem Hosensack, dringe noch tiefer ins Dickicht, auf der Suche nach Wasser. Komme zu einer Quelle. Tauche das Tuch ins Wasser, geh’ zurück zum Bock und wasche die Wunde aus. Die ganze Schulter und das Vorderbein sind voll eklig verklebt vom eingetrockneten Blut und mit Laub und Dreck verschmiert. Sieht übel aus, an einer Stelle sehe ich sogar den Knochen. Ich muss fast kotzen. Der Bock hält ganz still. Ich geh dann nochmals zurück, um frisches Wasser zu holen. Tauche das Taschentuch ins Wasser. Da steigt ein rötlicher Dunst aus der Quelle und nimmt die Gestalt eines Geistes an. Ihr wisst schon – so wie ein Geist halt eben ausschaut; oval und nach unten ganz schmal werdend, so wippend über dem Wässerchen schwebend.  Ich krieg fast eine Herzkriese, könnt ihr euch ja vorstellen. Ich bin nicht auf Drogen, ganz ehrlich – Indianerehrenwort – so was kennt man noch nicht im Dorf. Der Geist fängt dann auch noch an zu sprechen und macht einen auf unheimlich und mysteriös, so mit tiefer Stimme, mit viel Echo und so. „Guten Tag mein Kind!“ Ich glaube ich bin im falschen Film, sage aber mal so; „Hallo – ähh, Geist.“ Ich winke mit der Hand zum Gruss, denke das wirkt unerschrocken und ich mache hier besser einen auf cool, kenne mich ja mit Geistern nicht aus. Jetzt mal ohne Scheiss, habe mir fast in die Hose gemacht vor Schiss. Da sprach der weiter, so ganz feierlich; „Respekt! Du hast mit meinem Wasser eine gute Tat vollbracht. Du hast einem Tier das Leben gerettet! Ich werde unter den Geistern berühmt werden. Zur Belohnung darfst du dir etwas wünschen. Du hast drei Tage Zeit, um es dir zu überlegen. Entscheide weise. Dann komme wieder an diese Stelle zurück.“ Und verschwunden war er. Schschscht. Weg. Kein Zeichen. Alles normal – wie vorher. Ich glaube ich spinne und geh heim.

 

Am Morgen wache ich auf, mache Frühstück für alle und denke, ich hab den ganzen Scheiss mit dem Geist nur geträumt. Vater und das Rattengesicht hängen am Küchentisch mit einem Kater und sagen ausnahmsweise gar nichts. Auch gut. Gehe zurück in mein Zimmer, um mein Schulzeug zu packen und sehe das Taschentuch. Es ist immer noch nass. Natürlich kriege ich wieder kurz die Krise – will ja nicht eingeliefert werden. Verstehe überhaupt nicht, was hier eigentlich läuft, behalt aber kühlen Kopf, sage zu mir selber: „jetzt mach mal eine Pause und geh zur Schule.“

 

Drei Tage später, immer noch voll verwirrt, mache ich mich dann morgens um vier auf zur Quelle. So eine Gelegenheit, dass ich mir irgendwas wünschen darf, kommt vielleicht nie wieder. Es ist dunkel wie in einer Kuh. Habe aber keine Angst. Höchstens ein bisschen den Bammel. Bin doch kein Feigling. Der Rehbock ist weg. Der Geist ist auch nicht da. Schau die Quelle so an und sage so; „äh, hallo?“ Nix, nur Plätschern und Dunkelheit. Ich Gehe ein bisschen nach links und nach rechts und ruf, „Hallo Geist,“ aber der kommt nicht heraus. Ich setze mich auf den Waldboden bis ich einen feuchten Arsch kriege. Das hasse ich, versteht sich. Stehe wieder auf, bin genervt. Beuge mich über die Quelle, dass sich mein Gesicht im Wasser spiegelt, so wie im Märchen und so, und spucke hinein. Nichts. Da dämmert’s mir langsam. Ich ziehe das Taschentuch heraus und tauche es ins Wasser. Und wusch – der rötliche Schimmergeist ist wieder da. „Nun, was wünschst du Dir mein Kind?“

 

„Ich, ganz verlegen, fange mal an zu erzählen: „ Ja, zuerst hab ich gedacht ein Auto, wenn ich achtzehn bin wäre geil, oder ein Laptop vielleicht – aber neee, das ist dann doch ein bisschen billig, oder? – wenn ich hier schon mal so die grosse Auswahl habe. Ähm, vielleicht eher so was Esoterisches, wie den inneren Frieden oder so, oder den Weltfrieden, aber ich weiss nicht recht – könnte ich ein Zauberbuch kriegen?“ „Dein Wunsch soll in Erfüllung gehen,“ sagt die rote Dunstwolke, streckt mir ein dickes, fettes, altes Buch entgegen und verzieht sich ins Wasserloch zurück. Ich stehe da, voll vor den Kopf gestossen, voll das Zauberbuch in den Händen. Boah denke ich, Hammer! Ich also, schnellstens nach Hause, verstecke das Buch unter dem Kopfkissen bevor die anderen aufstehen.

 

Mache Frühstück wie immer. Alles normal. Das Rattengesicht nörgelt, Vater ist immer noch blau. Ich gehe zur Schule, Rattengesicht Arbeit suchen und Vater seinen Rausch ausschlafen. Abends zaubere ich den Beiden ein mega Abendessen der Extraspezialsonderklasse auf den Tisch. So im Stil von Tischlein deck dich. So quasi  ein Schlemmermal, noch nie dagewesen, eine kulinarische Sensation, eine Food Installation, ein Gaumenmirakel, 7 Gänge, den vollen Durchlauf. Der Frass geht runter wie jeden Tag. Die Bemerkungen sind zwar etwas milder. Zum Schluss serviere ich Kuchen und sage noch so beiläufig: „Von dem Kuchen müsst ihr unbedingt noch ein Stück probieren, ist etwas ganz Besonderes. Wer davon isst, wird nie mehr im Leben hungrig sein müssen. Ich meine, ihr seid dann immer total angenehm satt. Total das chillige Gefühl im Bauch und so.“ Dafür kriege ich vom Rattengesicht einen Klaps auf den Hinterkopf und der Vater lallt, ich soll meine freche Fresse halten.

 

Ich fange schon mal an abzuwaschen und bettle ganz lieb und scheinheilig, sie sollen mir noch ein Stück Kuchen übriglassen, für später. Denkste!

 

Am nächsten Morgen war keiner hungrig ausser mir. Ich mampf ganz gemütlich meine Konfitürenbrötchen, trinke eine heisse Schokolade und lass es mir so richtig schmecken. Am Abend das Gleiche. Ich eine feine Omelette, die anderen ein Gähnen

 

So geht das dann Tag für Tag. Ich hab fast nichts mehr zu tun. Keine Kocherei, keine Abwascherei, keine Küchenbodenaufnehmerei und nach einer Weile, auch keine Toilettenputzerei mehr, versteht sich. Ist logisch .Ich stelle erstaunt fest, die hören mit der Zeit sogar auf zu schwitzen. Gehen ja auch kaum noch aus dem Haus. Kleider waschen – auch nicht mehr nötig. Das Rattengesicht hört dann auch auf Arbeit zu suchen. Braucht ja kein Geld, ist ja satt. Kann nicht mal mehr motzen. Der Vater sitzt am Küchentisch vor dem selben Schnaps. Die beiden beginnen langsam zu verfaulen. Ihre Konturen verschwimmen schon so komisch. Ihre Erscheinung wird dezenter, verbleicht, und passt sich total den Tapeten an. Die scheinen sich echt vor meinen Augen aufzulösen, sind schon so richtig durchsichtig. Total krass, wenn man so was zum ersten Mal sieht, kann ich euch sagen, voll der Gruselfilm. Ich reisse dann mal vorsichtshalber noch die Zeiger aus der Wanduhr, damit die Beiden, während sie so verduften, nicht plötzlich realisieren wie spät es ist und sich zusammennehmen und erholen. Irgendwann sehe ich nur noch ein Häuchlein von denen, so zu sagen eine Nuance ihres Selbst, ein Odem und im nächsten Moment sind sie ganz weg. Vater und Rattengesicht assimilieren also innerhalb von Kürze irgendwie komplett mit dem Inventar und um die Story hier ein wenig abzukürzen; ich werde jetzt nicht mehr gebraucht im Haus, klarer Fall. So ging das. End of Story.

 

Etwas habe ich aber begriffen Leute; bewahrt euch euren Hunger. Ihr wisst schon, wie ich das meine. Sonst könnt ihr euch ebenso gut abmelden hier. Kein Witz.

 

Ich beendete noch meine Schulpflicht, packte dann meine Sachen um möglichst schnell aus dem trostlosen Kaff zu verschwinden. Ich ging zum Bahnhof und nahm den Zug nach Zürich. In Zürich gibt’s Land- und Luftwege in alle erdenklichen Himmelsrichtungen. Von da aus wollte ich irgendwo hin. Oder eben umgekehrt: Von überall her führen Land- und Luftwege nach Zürich. Ich liess mich also nieder und begann einen Job als  Geschichtenerzählerin zu suchen. Sagte mir; „Falls daraus nichts werden sollte, habe ich ja immer noch das Zauberbuch.“

 

© Ada Ravaioli 2012

Es war einmal eine Prinzessin. Sie hiess Ernesta und wie es der Name verrät, kümmerte sie sich mit Ernsthaftigkeit und Ergebenheit um die bedeutsamen Dinge im Leben. Mit viel Fleiss bereitete sie sich auf ihre Aufgaben als Königin vor. Sie studierte Innen- und Aussenpolitik und machte sich mit der Wirtschaft und dem Handel vertraut. Vom Recht verstand die Prinzessin so viel, dass sogar ihr Vater, der König ihren Rat suchte. Sie sprach bald fünf Sprachen – auch für Naturwissenschaften interessierte sie sich. An den Sonntagen unternahm sie lange Exkursionen durch den Schlosswald und schrieb abends ihre Beobachtungen in ein Buch. Einzig das Studium der Kriegskunst schien ihr in der fortschrittlichen Welt, in der der gesunde Menschenverstand hochgeschätzt wurde, überflüssig geworden. Sinnvoller erschienen ihr Dinge wie Konfliktvermeidung und  Kompromissbereitschaft.

 

Die Tanten machten sich Sorgen um das Wohlergehen der Prinzessin, denn sie zeigte keinerlei Zeichen von jugendlichem Leichtsinn und Übermut. Sie entsagte allen Verführungen durch die Lebensgeister, gab sich zurückhaltend und genügsam. Sie war schön und bleich, wirkte stolz und unnahbar und gerade deshalb reizvoll auf die Männer. Aber keiner würde ihr je fein genug sein. Die Frauen bezeichneten sie hinter ihrem Rücken als blasiert und unmodern und ihrer Unantastbarkeit wegen wurde sie von ihrer unverschämten Zwillingsschwester Aurelia als die Unbefleckte betitelt.

 

Prinzessin Aurelia, wie es ihr Name verrät, kümmerte sich in strahlender Selbstherrlichkeit einzig um die Erfüllung ihrer goldenen Begehrlichkeiten. Eines Tages wurde der König schwer krank und er liess Ernesta und Aurelia zu sich ans Sterbebett rufen. Er hielt die Hände seiner Töchter und sprach zuerst zu Ernesta: „Ernesta, meine Ehrbare: Mein Entscheid überrascht dich sicherlich, doch ich werde den Thron deiner Schwester Aurelia überlassen. Du bist zwar die Erstgeborene, aber du schlägst nach deiner verstorbenen Mutter. Du bist fein und anständig. Das Leben ist grausam und ungerecht. Kriege und Hungersnöte folgen keinen geschriebenen Gesetzen. Die Wellen von Zerstörung und Leid machen keinen Halt vor den Podesten der Pflicht und der Moral. Ich überlasse dir aber die Burg zur Rechtschaffenheit, weit im Norden des Landes. Die Menschen leben dort in Frieden. Das Wetter ist etwas rau, aber der Boden ist fruchtbar und wunderbare Gärten und grenzenlose Wälder umschliessen die Festung. Du bist jeglicher Verpflichtung entbunden. Deine einzige Aufgabe wird sein, dich von ganzem Herzen des Lebens zu freuen.

 

Und du Aurelia, meine Sorglose, du wirst hart arbeiten lernen, denn du wirst als Königin grosse Entscheidungen fällen müssen. Du wirst die Trauer über deine Verluste und die Last deiner Schuld tragen lernen. Du wirst der unnachgiebigen Macht des Zweifels begegnen und du wirst die hohe Kunst, Niederlagen in Siege zu verwandeln, erlernen müssen. Der Hass des Volkes wird manchmal um Vieles grösser sein, als dessen Liebe und das Krachen deines brechenden Herzens lauter als das einer umstürzenden Eiche. Aber du hast Mut und es wird dir Vieles geschenkt werden.“ Darüber schloss der König die Augen. Die Schwestern bedankten sich bei ihrem geschwächten Vater und respektierten seinen letzten Willen ohne Einwände. Beide küssten ihn auf die Stirn, versicherten ihm, sie würden ihr Bestes tun und befahlen ihm, sich auszuruhen.

 

Sie verliessen das Gemach des Königs. Aurelia begann um den sterbenden Vater zu weinen und vergass vorläufig ihre neue Bestimmung. Ernesta verschwand sofort, um den zwecklosen Kummer und die bittere Enttäuschung herunterzuschlucken und stattdessen dem Grund ihres Versagens nachzugehen. Am nächsten Morgen war der König tot. Das Land trauerte. Aurelia war niedergeschlagen und verzweifelt. Sie delegierte ihre neuen Aufgaben an die Bediensteten. Ernesta entfloh der Schwermut, indem sie sich sofort und ohne grosse Abschiedszeremonie auf den langen, mühsamen Weg Richtung Norden machte. Trotz aller Eile wurde die Prinzessin während der Fahrt von der Schmach der Niederlage eingeholt, aber sie jagte den elenden Dämon mit Vehemenz zum Teufel. Sie war fest entschlossen ihrer Schwester die Krone von Herzen zu gönnen, denn sie wusste, dass Neid und Missgunst dem Menschen nur die Tage verderben.

 

Die Prinzessin erreichte die Burg zur Rechtschaffenheit gegen Ende des Sommers. Diener und Mägde begrüssten sie freudig. Es wurde ein Festmahl zubereitet. Im Hof der Burg wurde ihre Ankunft bis in alle Nacht gefeiert. Die Prinzessin hatte sich aber, zur Enttäuschung ihrer Gefolgschaft, früh und höflich entschuldigt und sich in ihre Kammer zurückgezogen. Am nächsten Morgen begab sie sich kurz nach dem Frühstück ins Turmzimmer. Der kreisrunde Raum war leer, bis auf ein kleines, quadratisches Steintischlein und einen Stuhl in der Mitte. Ein Schachbrett zierte die Tischplatte. Die Felder waren in dunkel- und silbergrauem, schillerndem Marmor kunstvoll in die Oberfläche eingelegt. Zwei hübsche Schublädchen, in denen die Figuren schliefen, zierten die Seiten des Tischchens. Aus acht Scharten hoch oben unter dem Turmgewölbe fiel Licht auf das Spielbrett. Ernesta setzte sich und fuhr mit der Hand über den glatten, kühlen Stein. Sie zog die Schublade vor sich auf und stellte eine weisse Figur nach der anderen auf ihre Position. Sie stand auf, ging auf die andere Seite des Tischchens und organisierte das schwarze Heer. Sie kehrte zum Stuhl hinter den weissen Figuren zurück, setzte sich und dachte nach.

 

Die Tischplatte ruhte auf einem dicken, schweren Steinzylinder. Ernesta zog die rechte Ecke der Tischplatte zu sich und staunte, mit welcher Leichtigkeit und geräuschloser Vollkommenheit sie sich drehen liess, bis die schwarze Armee vor ihr auftauchte. Sie drehte das Schlachtfeld noch einmal um hundertachtzig Grad, damit sie wieder hinter den weissen Figuren zu sitzen kam und schob einen Bauern von h2 nach h3.

 

Es vergingen Monate und Ernesta spielte täglich viele Stunden gegen sich selber Schach. Eine einzige Partie dauerte anfangs mehrere Wochen. Die Angestellten wunderten sich ein wenig über die eigentümliche Beschäftigung und da es wenig zu tun gab für die anspruchslose Prinzessin nutzten sie die freie Zeit, um über sie zu klatschen und zu tratschen.

 

Eines Tages liess die Prinzessin dem Steinmetz des Hofes die Anordnung überbringen, eine Kerbe in die Burgmauer über dem Eingangstor zu meisseln. Der seltsame Auftrag überraschte ihn, aber er erledigte die Arbeit anstandslos. Drei Tage später verlangte die Prinzessin nach einer zweiten Kerbe und in den folgenden Wochen musste er eine dritte, vierte, fünfte und sechste hinzufügen. Da fasste sich der Steinmetz ein Herz und erkundigte sich nach der Bewandtnis des aussergewöhnlichen Wandbildes. Die Prinzessin antwortete knapp: „Ich zähle die Siege.“

 

Aurelia war eine beliebte Königin. Das Land blühte auf unter ihrer Herrschaft. Der Handel florierte. Einstmals feindlich gesinnte Könige und Oberhäupter ferne Länder versuchten sie und ihr Reich durch Liebesgeständnisse und Heiratsanträge, anstatt durch blutige Schlachten einzunehmen. Aurelia tat was sie konnte, um alle hin – und bei guter Laune zu halten. Sie war äusserst populär. Das Volk verzieh ihr jeden Skandal, weil sie sich selbst zu verzeihen wusste und zum Entsetzen der Einen und zur Freude der Anderen gebar sie bald einen unehelichen Thronfolger Namens Ariele.

 

Ariele schien seinem Namen gar keine Ehre zu tun. Er entwickelte sich trotz aller royaler Vorteile zu einem Problemkind. Er lernte in Windeseile laufen und sprechen und scherte sich nicht um Anstandsregeln. Die Berater von Aurelia schimpften ihn eine wahre Plage und eine Gefahr für den Schlosshaushalt. Er entwickelte ein Mundwerk, munterer als ein Gebüsch voller Spatzen, worauf manch einer mit kurzem Geduldsfaden einfach geschossen hätte. Er entwischte seinen Aufpassern mit den Perücken und platzte in Konferenzzimmer mit der dringenden Botschaft, er sei hungrig. Er stahl Feuerwerkskörper aus den Schatzkammern, schlich sich nachts aus dem Bett und veranstaltete seine eigene kleine Feier im Schlossgarten. Bald wurde ihm keiner mehr Meister. Die Untergebenen rannten vor ihm davon, denn er tauchte stets Hand in Hand mit Mätzchen und Schwierigkeiten auf. Der besten Dienerschaft wuchs die Aufgabe den rotzfrechen Königssohn zu erziehen über den Kopf und einer nach dem anderen kündigte die Anstellung auf dem Schloss. Eines Morgens war die Königin der Klagen ihrer Hofdamen und -herren überdrüssig. Sie hatte weiss Gott wichtigeres zu tun und steckte den Jungen in eine Erziehungsanstalt für Prinzen.

 

Die Waldspaziergänge von Prinzessin Ernesta wurden immer kürzer. Sie verliess die Burg immer seltener. Es kam sogar vor, dass sie den herrlichsten Maitag mit all seinen Blütendüften und vorsommerlichen Geräuschen unbeachtet verstreichen liess, um über einem Schachzug zu brüten.

 

Ab und zu erhielt sie einen Brief von ihrer Schwester, den sie sich einzig aus Pflichtbewusstsein vorlesen liess. Aurelia bat Ernesta in wichtigen politischen Fragen manchmal noch um Rat. Ernesta verlor aber in den Jahren der Abgeschiedenheit das Interesse für die Angelegenheiten im Süden. Das Leben auf der Burg zur Rechtschaffenheit war ein einfaches. Weit weg vom städtischen Geschehen blieb man vom Weltgeschehen unberührt. Der Briefwechsel zwischen den Schwestern versiegte nach und nach.

 

Ernesta spielte weiterhin mit unerbittlichem Ehrgeiz gegen sich selber Schach und benahm sich immer seltsamer. Sie sprach mit kaum jemandem, schien in sich selbst versunken, unnahbarer und herablassender denn je.

 

Die Schneiderin begann Trübsal zu blasen, denn die Prinzessin verlangte nur nach einem neuen Kleid, wenn das einzige, welches sie trug, nicht mehr zu reparieren war. Den Köchen wurde es stinkelangweilig und sie begannen, sich vollzufressen und miteinander zu streiten. Es wurden keine Gäste mehr empfangen, keine Feste mehr gefeiert und deshalb gab es auch keinen Grund mehr zum Markt zu fahren und exotische Köstlichkeiten einzukaufen. Was der Garten hergab reichte aus. Die Prinzessin verlangte immer nach den drei gleichen Mahlzeiten, die anscheinend ihrem Magen am besten bekamen. So blieb der edelste Wein ungetrunken. Auch die Tage des Schmiedes wurde immer trostloser. Er sass gleichgültig in seiner Werkstatt und begann zu saufen. Niemand ritt mehr aus. Die Kutsche stand unbewegt im Hof. Das Eisentor zur Burg blieb geschlossen.

 

Die älteren Burgbewohner rätselten und spekulierten über die Gesundheit der Prinzessin und machten sich Sorgen um ihr Seelenheil. Die jüngeren lästerten über Ernesta aus lauter Verzweiflung. Manche behaupteten sogar, die Prinzessin könne gar nicht Schach spielen. Schliesslich trug der Wind das Geschwätz und die abendlichen Hammerschläge des Kerbenmeisslers weit über das ganze Land und über dessen Grenzen hinaus.

 

Eines schönen Tages ritt ein vorwitziger Adelsherr an der Burg vorbei. Er hielt sein Pferd vor der Zugbrücke an und rief laut nach der Prinzessin; ob sie denn in der Laune sei, einen ebenbürtigen Gegner zu einem Spielchen einzuladen. Die Prinzessin, die den Besucher wohl hörte, schwieg. Der Reiter liess sich so schnell nicht abwimmeln. „Wer ist denn Euer werter Gegner, verehrte Prinzessin?“ fragte er kokett. Aber die Prinzessin blieb ihm die Antwort schuldig. Der Fremde rutschte auf dem Sattel hin und her und bat beharrlich abermals um eine Auskunft. „Mögt Ihr mir, hochgeschätzte Ernesta von Rechtschaffenheit, vielleicht verraten, wer von Euch beiden denn öfter gewinnt?“ Jetzt wurde es der Prinzessin zu dumm. Sie wies einen Diener an, den Reiter vor der Burg auf die vielen Kerben ihrer Siege über dem Tor aufmerksam zu machen und ihn dann fortzuschicken. Daraufhin wendete der übermütige Besucher sein Pferd und spottete im Davonreiten: „Die Spiegelung im Wasser des Burggrabens lassen mich ebenso viele Niederlagen zählen!“

 

Am nächsten Tag liess die Prinzessin den Burggraben mit Schlamm und Morast füllen, bis das Wasser braun und trübe war wie die Jauche im Güllenloch. Die Schwäne und Enten mit ihren Jungen fühlten sich in der sumpfigen Brühe bald nicht mehr wohl und zogen fort. Durch den Moorgeruch angelockt nisteten sich Molche, Schlangen und Kröten ein und legten hunderte von Eiern.

 

Eines anderen Tages kehrte ein Jüngling  von der Wanderschaft nach Hause zurück. Sein Weg führte an der Burg vorbei und er dachte, ein Schachspiel mit der Prinzessin könnte die letzte krönende Herausforderung seiner Wanderjahre werden. Er hatte auf seiner Reise von der kerbenüberzogenen Mauer gehört und tat nun, da er davor stand, seine Bewunderung kund: „Ich weiss, Ihr spielt hervorragend, Prinzessin Ernesta! Man spricht im ganzen Land von Euch! Die Burgmauer soll Zeuge Eurer Unschlagbarkeit sein! Aber die Krähen haben mir auch von Euren Niederlagen erzählt! Ich wäre bestimmt ein ernstzunehmender Gegner, da ich auf meiner Wanderschaft gegen tausend Leute gespielt habe! Mögt Ihr es gegen mich aufnehmen?“ Die Prinzessin blieb auch ihm die Antwort schuldig und liess die Krähen vergiften.

 

An einem milden Herbsttag, die Prinzessin war in ihr Strategiespiel vertieft, klopfte jemand laut ans Burgtor. Die Wache musste wohl vergessen haben die Zugbrücke hochzuziehen. Das schwere Eisentor wurde aufgemacht. Ein kaum siebenjähriger Ankömmling stand auf der Brücke. Er trug vor Schmutz starrende, aber aus edlen Stoffen gefertigte Kleidung. Seine blonden Locken waren durcheinandergeraten und er roch nach ungewaschenem Kind. Er verneigte sich vor dem Wächter und flunkerte, er wäre zu einer Audienz bei der Prinzessin vorgeladen. Man glaubte ihm die Lüge, er wurde hereingelassen und ins Turmzimmer geleitet.

 

Die Prinzessin sah von ihrem Spiel auf, erstaunt über den unerwarteten Besuch. Sie duldete sonst unter gar keinen Umständen Gesellschaft im Turmzimmer. Doch beim Anblick des Kindes wurde ihr Herz etwas weicher. „Was führt dich zu mir?“ fragte sie, erheitert über des Jungen exquisite aber schmuddelige Aufmachung. Der Junge verneigte sich tief. Die rechte Hand ins Kreuz gelegt, den linken Fuss etwas vorgestellt, blieb er vornübergebeugt, obwohl er bereits zu sprechen begonnen hatte. „Meine verehrte Prinzessin“, brachte er unter exzellenter Artikulation hervor „ich habe von Euren Spielkünsten vernommen. Nun, ich nenne mich selbst“ – der Zeitpunkt schien ihm nun richtig, um sich wieder aufzurichten – „einen gerissenen Strategen auf dem Brett und möchte Euch um den Gefallen bitten, gegen mich in den Krieg zu ziehen.“

 

Die Prinzessin wollte antworten, aber der Junge hob die Hand und fuhr fort: „Ich bin Eurer Hoheit unwürdig und es ist meiner einfachen Seele nicht recht, Prinzessin, dass ich Euch nicht mehr anzubieten habe als Folgendes: Falls Ihr die Partie gewinnt, seid Ihr mich noch heute wieder los. Falls der Sieg jedoch mein sein sollte, müsst Ihr mich hier auf der Burg zur Rechtschaffenheit aufnehmen wie einen Sohn. Ich werde mit euch spielen, speisen und die Schneiderin wird mir eine Jacke aus Seide nähen und mit goldenem Faden einen Löwen auf das Rückenteil sticken. Ich werde mir das schnellste Pferd im Stall aussuchen.....“ Ernesta sprang auf und unterbrach den Frechling mit strengen Worten. Er hielt inne und setzte sich auf den Fussboden.

 

Sie schauten einander lange an. Der Junge versuchte sein Haar aufzuräumen. Ernesta verzog keine Miene, obwohl sie der Auftritt mit den masslosen Forderungen belustigte. Es würde ein Kinderspiel sein gegen den unflätigen Bengel zu gewinnen. In einer halben Stunde wäre sie den Eindringling wieder los. Das einzige, was sie zu verlieren hatte war das angefangene Spiel auf dem Brett.

 

Sie streckte ihm die Hand entgegen und zog ihn auf die Beine. Ein Diener brachte einen zweiten Stuhl, die beiden setzten sich ans Marmortischchen und begannen, die Figuren zu ordnen. Der Junge streckte sich und die Prinzessin musste an ihren Vater denken, der ihr vor vielen Jahren, als sie selbst so klein gewesen war, die Spielregeln beigebracht hatte. Der Gedanke an den König stimmte sie traurig. Es fiel ihr nicht leicht, sich zu konzentrieren. Sie hatte seit langer Zeit niemandem mehr gegenüber gesessen.

 

Der Junge eröffnete das Spiel. Schon nach wenigen Zügen wurde der Prinzessin die Unvorhersehbarkeit ihres Gegners unheimlich. Es bereitete ihr grosses Unbehagen, keine klare Einsicht in die Gedankengänge und Pläne ihres Gegenübers zu haben. Sobald der Junge einen Zug gespielt hatte löcherte er Ernesta mit irgendwelchen Fragen über Gott und die Welt. Sie ermahnte ihn mehrmals zu schweigen, angestrengt darum bemüht herauszufinden, in wie weit das Kind ihre eigenen Absichten durchschaute. Die Beklommenheit zeichnete tiefe Falten auf ihre Stirn. Der Junge redete ununterbrochen und plötzlich wurde ihr mit Entsetzen klar, welches Risiko sie eingegangen war. Sie merkte zu spät, dass sie getäuscht, verführt und in einen Hinterhalt gelockt worden war. Sie fühlte sich ohnmächtig, dem Geschehen ausgeliefert und verlor so schnell an Oberhand, dass sie dem Jungen am liebsten eine Ohrfeige verpasst hätte. Der wollte einfach nicht begreifen, dass sein Gerede gegen die Regeln verstösst.

 

Sie nahm sich zusammen. Er war ein unschuldiges Kind. Als Prinzessin hingegen hatte sie die Fassung zu wahren, auch wenn sie verzweifelt und den Tränen nahe, jegliche Kontrolle über das Spiel ihres Gegners verloren hatte. Da sprang der Junge auf und vollführte einen Freudentanz. Ernesta starrte ungläubig und benommen auf ihren schachmatten König. Sie wollte nicht glauben, was ihr eben widerfahren war.

 

Ihr erster Gedanke war, den Jungen trotz ihres Versprechens fortzuschicken. Sie war schliesslich die Prinzessin von Rechtschaffenheit und alles, was auf der Burg geschah unterlag einzig ihrer Entscheidung. Doch im Augenblick der Unentschlossenheit zogen düstere Wolken auf und ein gewaltiger Blitz schlug in den Burghof. Das Krachen des Donners liess den Turm erbeben. Die Wände zitterten noch, als ihr Schreck schon nachliess. Der Wind begann um die Ecken zu heulen. Ein Unwetter kündigte sich an, wie es das Land seit hundert Jahren nicht mehr gesehen hatte. Mächtige Böen begannen Bäume zu entwurzeln und schleuderten sie durch die Luft. Es gelang gerade noch rechtzeitig, das Vieh und die Pferde von den Weiden zu holen bevor der Platzregen einsetzte. Bäche und Flüsse schwollen an, traten über die Ufer, rissen Brücken mit sich und überschwemmten Äcker und Gärten. Der Himmel wurde von Stunde zu Stunde düsterer, der Zorn des Gewitters infernalischer. Die Prinzessin, der Junge und die gesamte Gefolgschaft mussten in den finsteren Kammern der Burg ausharren und darauf vertrauen, dass der Sturm bald nachliess.

 

Das Unwetter tobte zwölf Tage und zwölf Nächte. Sie mussten von den Wintervorräten aus dem Keller leben und sich die Zeit mit Kartenspielen vertreiben. Der ungebetene kleine Besucher entpuppte sich zum Erstaunen aller als unterhaltsamen Gast. Die Schneiderin nähte ihm eine Seidenjacke und stickte mit goldenem Faden einen Löwen auf das Rückenteil. Sogar die Prinzessin begann Gefallen daran zu finden, tausend Antworten und Beschwichtigungen auf seine tausend Fragen und Bitten zu finden. Die Köchinnen backten ihm Kuchen und die Köche schlachteten einen Truthahn. Der Junge strotzte vor Zufriedenheit bei all der Aufmerksamkeit und die Burgbewohner fanden wieder einen Sinn in den Arbeiten, die sie zu verrichten hatten. Alle amüsierten sich köstlich ab den Mätzchen des Kindes. Die Heiterkeit hielt Einzug auf der Burg zur Rechtschaffenheit und nahm den hohen, schwarzen Mauern die Trostlosigkeit. Und die Prinzessin dachte nicht mehr daran ihren Gast wegzuschicken.

 

Am dreizehnten Tag liess der Orkan nach. Die Sonne kam hervor und das regengetränkte Land begann zu trocknen. Der Burggraben war randvoll mit frischem Regenwasser. Als sich der aufgewühlte Schlamm zu setzen begann konnten sich der Himmel, der Garten und die Kerben über dem Tor wieder darin spiegeln. Die Schwäne und die Enten kehrten zurück, sprangen hinein und putzten fröhlich ihre Flügel. Sogar die Krähen trauten sich wieder auf der Burg zu wohnen und begannen eifrig, ihre Nester zu bauen. Ernesta und und der Junge sassen auf dem Rand des Hofbrunnens und badeten ihre Füsse. Die Abendsonne wärmte ihnen den Rücken.

 

„Wer, ich erlaube mir die Frage da mir nie etwas von einem Herrn von Rechtschaffenheit zu Ohren gekommen ist, war eigentlich in all den Jahre Ihr werter Gegner?“ wollte der Junge wissen. Die Prinzessin dachte lange nach und meinte: „Das werde ich dir erzählen, sobald du mir deinen Namen und deine Herkunft verrätst.“ Beiden schien es aber klüger, dem anderen die Antwort schuldig zu bleiben.

 

„Sie sollten vielleicht einmal einen Frosch küssen unten am Teich, verehrte Prinzessin.“ Für diese Empfehlung gab es einen Klaps.

 

Ein Diener trat herbei um die Prinzessin daran zu erinnern, dass sie nach Sonnenuntergang von einem Herausforderer erwartet würde. Sie stieg aus dem Brunnen und begab sich in ihre Kammer, um sich frisch zu machen. Ariele flanierte zu den Sümpfen, um sich mit den Unken zu besprechen.

 

Und so lebten sie alle glücklich und zufrieden bis eines Tages herauskam wohin Ariele verschwunden war. Aber das ist der Anfang einer neuen Geschichte.

 

© Ada Ravaioli 2012

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